“Evolved Q“ und das neue Coffee Value Assessment

“Evolved Q“ und das neue Coffee Value Assessment

Die Specialty Coffee Association (SCA) hat im Rahmen der Expo in Houston am 24. April 2025 tiefgreifende Veränderungen in ihrem Bewertungs- und Zertifizierungssystem bekannt gegeben. Zusammen mit dem Coffee Quality Institute (CQI) haben sie die Übernahme des Q-Programms in Bezug auf die sensorische und physische Bewertung von Rohkaffee durch die SCA bekannt gegeben und liessen so eine Bombe platzen. Denn Mitten in einem Tsunami von Herausforderungen entlang der ganzen Wertschöpfungskette des Kaffees hatte damit wohl niemand gerechnet. Viele werfen der Organisation vor, grundlegende Herausforderungen zu ignorieren und stattdessen Symbolpolitik zu betreiben. Philipp und Benjamin haben dies ausführlich in zwei Podcasts besprochen - einmal auf Deutsch und einmal in einem anderen Format auf Englisch. Zudem löste ein Linkedin-Post von Philipp eine grosse Diskussion aus.

Herzstück der Reform ist das neue Coffee Value Assessment (CVA) sowie das damit verbundene „Evolved Q-Programm”, was innerhalb der Branche auf geteilte Meinungen stösst – von vorsichtiger Offenheit bis zu deutlicher Kritik. “Coffee is more than a score” ist der Aufhänger und die Rechtfertigung der SCA für die plötzliche und über Instagram kommunizierte Neuerung.

Was ist das Coffee Value Assessment?

Das Coffee Value Assessment (CVA) ist ein von der SCA neu eingeführter Bewertungsbogen, der laut der Organisation differenziertere, präzisere und „kontextuellere“ Bewertungen von Rohkaffee ermöglichen soll. Es ersetzt das bisherige SCA Cupping Form, welches über zwei Jahrzehnte als globaler Standard diente und in den Augen vieler nicht mehr zeitgemäss ist. Das CVA sei eine Weiterentwicklung des bisherigen Protokolls, zeitgemäss, wissenschaftlich geprüft und inklusiver. So lautet es aus den Kreisen der Non-Profit Organisation rund um das Entwicklungsteam von Peter Giuliano.

Im Unterschied zum SCA Cupping Form soll das CVA und seine vier Module flexibler und situationsgerechter angewendet werden können. So braucht ein Rösterei-Team für die Beurteilung eines Rohkaffees vielleicht die affective form, das subjektiv ausgefüllt wird und dadurch die Vorlieben dieser Rösterei abbildet. Es dient für den schnellen Austausch zwischen Verkäufer und Einkäufer und zielt auf die persönlichen Wünsche und Präferenzen ab.

Im Gegensatz dazu kauft ein Rohkaffeehändler für viele verschiedene Weiterverarbeiter ein und möchte deshalb eine objektive Beurteilung des Rohkaffees. Dafür dient die descriptive form, welches die subjektiven Wünsche und Eindrücke nicht berücksichtigt und eine rein objektive Beurteilung ermöglicht.

Die Grundlage

In einem Online-Workshop haben Philipp und ich über die Vorkommnisse und die damit einhergehenden Veränderungen diskutiert. Den Fokus haben wir auf das Ausfüllen der Assessments gelegt und haben es einmal durchgespielt. Hier findet ihr den Link dazu. Wer möchte, kann mit einem beliebigen Kaffee auch im Nachhinein noch mitmachen. 

Die SCA definiert Specialty Coffee wie folgt:

Spezialitätenkaffee ist ein Kaffee oder eine Kaffeeerlebnis, welche sich durch
charakteristische Attribute auszeichnet, was wiederum einen höheren Marktwert mit sich bringt.

Die Bewertung eines Kaffees soll sich also nicht ausschliesslich auf eine sensorische Punktezahl reduzieren, sondern auch die gesamte Geschichte dieses Kaffees berücksichtigen. “Coffee is more than a score” lautet deshalb auch ihr Leitslagen dieser Einführungskampagne.

Zur optimalen Umsetzung werden drei Testarten gewählt, welche in der Wissenschaft der Sensorik üblich sind.

Discriminative test

Beim Unterschiedstest geht es darum, aus drei verschiedenen Tassen diejenige zu erkennen, die sich von den anderen beiden unterscheidet. Diese Methode, auch bekannt als Dreieckstest oder Triangeltest, wurde beispielsweise in Q-Grader Prüfungen eingesetzt.

Descriptive test

Beim beschreibenden Test wird systematisch, detailliert und quantitativ beschrieben. Das ausgewählte Panel kalibriert sich auf die Materie, so dass eine gemeinsame und objektive Sprache entsteht. Die Intensitäten werden auf einer Skala von 1-15 bewertet.

Affective test

Beim hedonischen Test geht es um subjektive Vorlieben und Akzeptanz. Dabei wird eine Skala von 1-9 verwendet.

Als Beispiel führt die SCA einen Satz an, der so in einem beliebigen Cuppingraum vorkommen könnte. 

Claim

So hätten Cuppers unbewusst bereits nach den Regeln dieser drei genannten Sensorik-Test verkostet. Mit dem neuen Ansatz zur Rohkaffee-Bewertung sollen affektive und beschreibende Elemente klar voneinander getrennt und externe Faktoren systematisch berücksichtigt werden.

Das Coffee Value Assessment im Überblick

Das neue Bewertungsschema gliedert sich in fünf klar voneinander abgegrenzte Bewertungsformulare, die einzeln oder in Kombination verwendet werden können. Um sich nicht von äusseren Faktoren beeinflussen zu lassen, wird empfohlen, mit dem descriptive assessment zu starten, gefolgt vom affective, dann dem physical und schliesslich dem extrinsic assessment.

Descriptive Form

Descriptive Form

Bei der “beschreibenden Bewertung” geht es um das objektive und gezielte Benennen der Geschmacks- und Aroma Attribute, ohne diese in eine positive oder negative Gesamtbeurteilung einzuordnen. So entsteht ein rein analytisches Profil der sensorischen Eigenschaften. Sie soll einer neutralen und objektiven Austausch über den Rohkaffee dienen.

Da bei diesem Assessment die Uniformität der Tassen nicht bewertet wird, wird bei der Brühmethode mehr Flexibilität geboten. Der Kaffee kann als Cupping oder als eine andere Art Brühung, wie beispielsweise Batch Brew oder French Press, aufgegossen werden. Es wird empfohlen, drei bis fünf Tassen aufzugiessen. Wird eine alternative Methode zum Cupping gewählt, sollten 12g Kaffee separat gemahlen werden, um Fragrance und Aroma dennoch bewerten zu können.

Die horizontalen low - medium - high Intensitätenskalen des SCA Cupping Form 2004 wurden durch eine Skala von 1-15 ersetzt. Dies sei bei beschreibenden Tests in der Sensorik-Wissenschaft üblich. Dabei steht 0 - 5 für wenig, 6 - 10 für medium, 11-15 hohe Intensität.

Fragrance und Aroma

Fragrance bezieht sich auf den Geruch des gemahlenen und und noch trockenen Kaffees, Aroma auf die Kruste bzw. den Duft nach dem Break.

Zusätzlich zur Intensität kann aus neun Kategorien (CATA – Check all that apply) gewählt werden. Nicht abgebildete Aromen können im Feld „Notes“ ergänzt werden. Die Aromen basieren auf dem inneren Kreis des SCA Flavor Wheel (Version 2016).

Flavour und Aftertaste

Neben der Intensität und aromatischen Beschreibung müssen zwei der Grundgeschmäcker (Basic Tastes) gewählt werden, die Flavour und Aftertaste repräsentieren.

Acidity und Sweetness

Säure und (neu) auch Süsse werden auf der Intensitätenskala bewertet. Für Säure werden zudem keine genauere Definitionen wie malic, citric oder tartaric gesucht. Studien belegen nämlich, dass Menschen nur citric, und ganz knapp noch essig, wahrnehmen können.

Mouthfeel

Body wurde durch Mouthfeel ersetzt und schliesst Textur, Gewicht sowie taktile Empfindungen wie sandig oder metallisch ein. Es gibt fünf taktile Optionen, von denen bis zu zwei ausgewählt werden können.

Affective Form

Affective Form

Das subjektive Empfinden eines Cuppers bezüglich eines Rohkaffees hinsichtlich der persönlichen Präferenz oder derer eines Kunden, wird mit der "affektiven Bewertung” festgehalten. Ebenfalls kann damit ein Rohkaffee in Bezug auf ein gewünschtes Endgetränk bewertet werden.

Die affective form erfasst also die persönliche Präferenz und unmittelbare Genussbewertung, ohne sie mit der objektiven Beschreibungen zu vermischen. Die finalen Punkte können via digitalen Plattformen in einen Total Score umgerechnet werden, wobei diese in meinem Verständnis nichts mehr mit dem bisherigen Total Score gemeinsam hat.

Für diese Bewertungsform werden die alt bekannten Cupping-Regeln angewendet. Es gelten die gleichen Vorgaben und Standards wie beim SCA Cupping Form 2004.  

Bei der hedonischen Bewertung (mag ich oder mag ich nicht) wird eine Skala von 1-9 verwendet. 1 bezieht sich auf “entspricht mir überhaupt nicht” und 9 auf “entspricht mir sehr”.

Alle Attribute werden anhand dieser Skala bewertet. Die Balance wird nicht mehr als separates Attribut aufgelistet, sondern fliesst neu in das Overall mit ein. Den Defekt ferment gibt es nicht mehr, denn fermentiert sei ja aktuell "en vogue". Das Notizfeld bietet die Möglichkeit, persönliche Eindrücke festzuhalten. Allerdings geht es nicht darum, die gleichen Notizen wie bei der beschreibenden Methode zu machen. Sondern spezifische Kommentare über den eigenen Gusto oder den entsprechenden Zweck zu notieren.

Beispiel:

Wir möchten einen neuen Espresso ins Sortiment aufnehmen. Dieser soll dunkler als bisher üblich geröstet werden, wenig-mittel Säure, eine mittlere Bitterkeit und viel Körper aufweisen. Wir wollen die Charakteristik und Aromen einer 68% dunklen Schokolade in unserer Tasse.

Im descriptive Assessment haben wir bei Flavour fruity, sweet, sour/ferment angekreuzt. Zudem dominieren für uns die Grundgeschmäcker sauer und süss.

Im affective Assessment halten wir in der Notiz des Flavours nun fest: Noten der Fermentation zu intensiv. Zudem zu viel Säure und zu viele Fruchtnoten. Nicht geeinget.

Physical Assessment

Physical Assessment

Bei der physischen Bewertung geht es um die Analyse des Rohkaffees hinsichtlich Feuchtigkeitsgehalt, Grösse und möglicher visueller Defekte. Die dabei gewonnenen Ergebnisse lassen sich anschliessend auf die verschiedenen Klassifizierungssysteme im Markt übertragen.

Das Score Sheet sieht zwar anders aus, jedoch werden, bis auf zwei Punkte, keine Veränderungen in der Bewertung vorgenommen. Neu wird die Bohnengrösse festgehalten, jedoch nicht mehr der Geruch des Rohkaffees. Es werden weiterhin 350g analysiert

Extrinsic Assessment

Extrinsic

Bei der extrinsischen Bewertung werden Faktoren wie Herkunftsbezeichnung, Zertifizierungen und andere Herkunftsmerkmale berücksichtigt, um den Wert und die Rückverfolgbarkeit des Kaffees zu bestimmen. Hier kann nun also alles festgehalten werden, was einen Kaffee ausmacht: Wo wächst er und wem gehört die Kaffeefarm, in welcher Umgebung befindet er sich und wie wird er verarbeitet, welche Varietät ist es und wann wurde er geerntet?

Combined Form

Combined Form

Diese Bewertung fasst auf einer Seite das descriptive, affective und extrinsic assessment zusammen. Es wird zwar sehr geraten, die Bewertungen nacheinander auszufüllen und die verschiedenen Arten von sensorischen Tests nicht miteinander zu vermischen. Trotzdem gibt es damit die Möglichkeit, bei Zeitmangel speditiver voranzukommen. 

Durch diese vier Stufen – physisch, extrinsisch, affektiv und deskriptiv – soll das Coffee Value Assessment eine umfassende, modulare Methodik bieten, um Kaffee in seiner ganzen Vielschichtigkeit zu erfassen.

Laut SCA soll das neue Format zu faireren Marktchancen führen, weil „Wert“ nicht mehr ausschliesslich über eine Punktzahl, sondern über einen erweiterten qualitativen Rahmen definiert wird. “Coffee is more than a score”, so lautet der Slogan dieser Einführungskampagne.

Was heisst das für mich?

Ab dem 1. Oktober 2025 ist das Q-Programm in den Händen der SCA, und das bisherige SCA Cupping Score Sheet wird durch das CVA abgelöst.

Fast Track

Für ehemalige und aktuelle Q-Grader (Arabica und Robusta) sowie für Sensory Professionals gibt es bis zum 31. Dezember 2025 einen Fast-Track: Wer bis Ende dieses Jahres den zweitägigen Kurs CVA for Cuppers absolviert, bekommt den Titel Evolved Q-Grader oder E-Q. Ab dem 1. Januar muss ein sechstägiger Kurs absolviert werden.  

Nadja Schwarz
Nadja Schwarz
Nadja Schwarz ist zertifizierte Q-Graderin Arabica und Robusta und Teil des Sourcing- und Röstereiteams. Als Hotelière und Wine-Nerdin mit WEST 3 Diplom hat sich die Sensorik- Enthusiastin vor ein paar Jahren dem Thema Kaffee verschrieben. Ihr Wissen gibt sie in diversen Kursen und Blogs weiter, denn sie erzählt fürs Leben gerne Anekdoten aus der weiten Welt des Kaffees.

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