Was bedeutet Corona für die Kaffeeproduktion? Ein Update aus Nicaragua

Was bedeutet Corona für die Kaffeeproduktion? Ein Update aus Nicaragua

Corona schlägt auf der Kaffeekette auch da zu, wo wir es nicht sehen. Wir berichten, wie die Situation im Norden Nicaraguas aussieht und welche Konsequenzen drohen. Kurzum: es wird düster.

Eigentlich würde unser Kaffee von der Finca Santa Rita jetzt geschält, nach Grösse sortiert und von Defekten befreit werden. Unser Team würde ihn in Säcke abfüllen und in Trucks zum Hafen von Corinto an Nicaraguas Westküste fahren.

Doch momentan sieht alles anders aus: der Kaffee liegt noch unsortiert im Lager in Ocotal, ungeschält und unverpackt. Im Lagerhaus herrscht Minimalbetrieb, nur im Labor werden Kaffees verkostet. Tim Willems, unser Farm-Manager in Nicaragua und Gründer von BridAzul, der Dry Mill, sagte mir:

Wir mussten fast alle Mitarbeiter nach Hause schicken. Ich kann noch nicht sagen, ob es eine gute Entscheidung war, sie fühlte sich aber richtig an.

Tim Willems

„Social Distancing im Kaffee ist kaum umsetzbar“, sagt Tim. Schwere Säcke stemmen, Kaffee in der Gruppe aussortieren, abfüllen, dies alles sei ohne Körperkontakt oder die zwei Meter Abstand unrealistisch. Für ihn überwog schlussendlich die Gesundheit der Mitarbeitenden und wollte keine Arbeit mehr anbieten, bei der er Mitarbeiter in Gefahr bringen würde. Viele Familien leben über verschiedene Generationen hinweg auf kleinstem Raum. Das Infektionsrisiko in ländlichen Gebieten ist inner-Familiär sehr hoch.

Zudem ist das Gesundheitssystem in Nicaragua sehr schwach, und Corona trifft auch Nicaragua, selbst wenn die Regierung nur 10 Infizierte und 2 Todesfälle meldet. Wer nicht testet, findet nicht. Gleichzeitig würden aber die Fälle von Lungenentzündungen dramatisch ansteigen, viele mit tödlichem Verlauf.

In Nicaragua gehen wieder mal düstere Theorien durch die Sozialen Medien und alle bezichtigen die Regierung übler Vertuschung: Lungenentzündungen geschehen einfach so, Corona könnte verhindert werden. Wenn Corona die Ursache für Todesfälle ist, dann ist das Problem hausgemacht. Wenn es Lungenentzündungen sind, dann passiert das halt immer wieder mal.

Auf der Farm werden die nötigsten Arbeiten erledigt.

Tagelöhner machen kein Home Office

Die Entscheidung unserer Partner, ihre Mitarbeiter vorübergehend nach Hause zu schicken, war schwierig. Sie wussten, dass ihre Mitarbeiter Geld verdienen müssen und sich viele auf die Suche nach Gelegenheitsjobs machen würden. Trotzdem wollten unsere Partner die Mitarbeiter schützen und nach Hause schicken. Eine schwierige Entscheidung. Unterstützung versuchen sie nun in Lebensmitteln zu geben.

Lohnvorauszahlungen sind derzeit kaum möglich, weil der Kaffee noch nicht verkauft wurde und die letzten Monate viel Kapital schluckten. Notfall-Fallschirme wie sie derzeit für Unternehmen in der Schweiz, Deutschland oder Österreich schnell und unbürokratisch verteilt werden, gibt es nicht überall. Auch nicht in Nicaragua. Wir als Partner sind nun mehr denn je gefordert.

Corona zeigt nicht nur die Unterschiede im Handling mit der Krise auf, sondern auch strukturelle und soziale Ungleichheiten. Tagelöhner können nicht von zu Hause aus weiter arbeiten. Die Regierung in Nicaragua setzt dabei zum Vokabular des Klassenkampfs an und schreit laut: „Nur Reiche bleiben zu Hause!“ Sie soll sogar vor der Osterwoche gesagt haben, dass sich die Menschen doch wieder mal von diesem Corona-Diskurs erholen und Ferien am Strand machen sollen. Ebenso lädt die Regierung zu Demonstrationen für die Gesundheit und gegen Corona ein – Menschen gehen in Massen durch die Strassen.

Die Finca als Rückzugsort

Tim betreut mit seinem Team vor Ort zwei Farmen, die Finca Santa Rita und die Finca el Arbol. Die meisten Mitarbeiter wären zurück in ihren Dörfern, eine Schrumpfmannschaft bliebe aber auf der Farm zurück und würde sie am Laufen halten. Am Ende des Tages ist eine Kaffeefarm ein Bauernhof, es gibt immer was zu tun.

Auf der Finca sei es dann ruhig, man bekomme nichts von allem mit. Jedoch fallen gerade jetzt Arbeiten an, die mit einem kleinen Team alleine kaum zeitgerecht zu erledigen sind.

Schwierige Ernte 2019/20

Die letztjährige Ernte, welche eigentlich schon bald auf dem Schiff sein sollte, war schwierig. Eine lange Trockenphase in weiten Teilen Zentralamerikas kurz nach der Blüte liess die Kirschen ungleich wachsen. Die Samen in der Kirsche, die späteren Kaffeebohnen, bildeten sich teilweise nur mangelhaft bis gar nicht aus.

Vom südlichen Mexiko, über Guatemala, Honduras bis nach Nicaragua und Costa Rica und Panama, gingen die Erträge auf Grund der Trockenheit zwischen 10 und 40% zurück. Das ist massiv. Verschiedene Händler haben uns berichtet, dass sogar durchschnittliche Qualitäten aus Honduras für einen Preis weggingen, der normalerweise für ein Microlot gelöst werden kann.

Status Santa Rita

Auf Santa Rita haben wir zum Vorjahr eine Einbusse an exportfähigem Kaffee von ca. 35% . Die Gründe sind einerseits die erwähnte Trockenheit, andererseits unser Renovationsprogramm.

Seit 2017 renovieren wir die Farm Stück für Stück. Wir dünnen die Plantage aus und sehr alte Bäume schneiden wir zuerst zurück – sollten sie im darauffolgenden Jahr nicht stärker austreiben, entfernen wir auch diese und dünnen den Bestand pro Hektar auf ca. 1100 Bäume aus. Nun sind einige der alten Bäume nicht auf die Rosskur angesprungen und wurden entfernt. Denn, wenn der Input (Dünger und Arbeit) für eine Pflanze grösser als ihr Output ist, dann muss sie weichen.

Nächstes Jahr wird es noch weniger Ertrag auf Santa Rita geben, weil wir den Baumbestand soeben wiederum ausgedünnt haben. Dafür erwarten wir die erste Ernte auf 1000 Variedades, welche doch auch auf ca. 10 Sack kommen dürfte.

Blick von Mil Variedades ins südliche Dipilto

Kein Zugang zu Dünger und Pflanzenschutzmitteln

Seit vor zwei Jahren die politischen Unruhen in Nicaragua angefangen haben, verlor die lokale Währung stark an Wert und die Importe wurden schlagartig teurer. Stickstoff beispielsweise, auf dem synthetische Düngemittel beruhen, wurde zwischen 30 und 40% teurer.

Die Mehrheit der Düngemittel in Nicaraguas Norden werden aus Honduras importiert, doch nun kommt Corona dazu: die Grenze zu Honduras ist geschlossen. Wer jetzt Dünge- oder Pflanzenschutzmittel braucht, stösst auf ein riesiges Problem. Die Knappheit liess die Preise nochmals dramatisch ansteigen. Doch wenn jetzt nicht gedüngt wird, fällt die nächste Ernte wiederum kleiner aus. Ein Teufelskreis.

Wer seinen Fokus auf biologische Anbaumethoden gelegt hat, ist diesbezüglich etwas weniger stark betroffen, sofern der Input auf der Farm selber hergestellt werden kann. Dies erfordert jedoch viel Know How, das nur punktuell vorhanden ist, und den Austausch mit Experten, die momentan nicht rumreisen.

Etwas Glück gehabt

Im Januar hat unser Team grossflächig Canavalia angepflanzt, auch bekannt als Jackbohne. Die Lianen-Art trägt grosse Blätter und legt sich wie ein Geflecht über den Boden. Die Gründe für die Anpflanzung waren:

  • Grosse Blätter bedecken den Boden =
    • weniger Irritationen durch UV-Licht
    • weniger Wasserverlust
    • weniger Erosion
    • drastisch reduzierter Unkrautwuchs, der in den Wettbewerb der Nahrungsaufnahme mit den Pflanzen gehen könnte

Nun sind Canavalias auch starke Stickstoff-Fixierer. Sie speichern ihn und geben ihn langsam wieder in den Boden ab. Gerade in Zeiten, in denen es schwierig ist, an Stickstoff-basierte Düngemittel zu kommen, helfen Canavalias und andere Stickstoff-Fixierer etwas in der Not.

Was nun?

Eine Prognose für die Kaffee-Situation ist schwierig. Die Informationen sind punktuell und die Kommunikation seitens der Regierung ist nahezu inexistent.

Was wir aber wissen, ist Folgendes:

  • der Kaffee-Export unserer Kaffees ist noch nicht absehbar – wir rechnen mal vorsichtig mit der Ankunft der Kaffees im Oktober
  • viele Produzenten können nicht in die Farm investieren, weil sie
    • weniger Kaffee produzieren konnten
    • und von dem weniger verkaufen konnten
  • was zu einer kleineren Ernte im nächsten Jahr führen wird
  • der Import von Dünger und Pflanzenschutzmitteln ist stark limitiert

Vor ein paar Monaten haben wir die zukünftige Ausrichtung der Finca Santa Rita geschärft. Wir wollen biologischen Kaffee produzieren und weitestgehend unabhängig von äusseren Inputs werden. Die momentane Situation bestärkt uns in dem Vorhaben, zeigt die Dringlichkeit und motiviert uns – auch wenn und weil wir wissen, dass die kommenden Monate in Nicaragua sehr schwierig werden.

Was Corona für die Kaffeekette heisst, besprechen wir am Sonntag in diesem Webinar: Coffee & Corona. Challenges, Chances, Change.

26Apr13:0018:30Kurs liegt in der Vergangenheit.Webinar: Coffee & Corona - Challenges, Chances, ChangeCoffee & Corona Webinar - Experten berichten

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1 Kommentar

  • Hallo Philipp,

    danke für deinen Bericht zur Situation in Nicaragua.
    Ich fiebere da echt mit, weil mir wirklich klar ist, dass den Menschen dort alles viel härter trifft als uns.

    Du schreibst der Kaffee ist noch nicht geschält und liegt im Lagerhaus. Ich vermute es sind Naturals die erst hinterher nach dem Trocknen geschält werden müssen. Wenn es Washed gewesen sein sollten, wären diese ja dann schon längst verfault und verloren.
    Nur wie lange dürfen die getrockneten Naturals in ihren Schalen bleiben bis auch diese "schlecht" werden?

    Ich lese viel und gerne von euch und Stanta Rita.
    Ich verstehe aber irgendwie das Gesamt Konzept oder die Hierarchie bzw. Verwaltung noch nicht so ganz.
    Vielleicht kannst du dazu mal irgendwann was schreiben, wie das Organisiert ist, wieso weshalb warum... .

    Was bei mir angekommen ist:

    Die Finca wurde vom Besitzer (dessen Name mir gerade nicht einfällt) geführt.
    Ihr habt ihm 50% abgekauft. Ihr arbeitet partnerschaftlich zusammen, entwickelt Konzepte usw. aber im Grunde kann er auf seiner Hälfte machen was er will, ihr auf eurer Hälfte macht eure Experimente und Umbau.

    Ihr arbeitet noch mit einer anderen Nachbar Finca zusammen die von bekannten geführt wird, und dort auch eben Kaffeeschulungen mit Besuchern aus aller Welt stattfinden. Hin und wieder werden für Praxis Tätigkeiten die Leute von dort zu Santa Rita geholt.

    Ihr Entwickelt in der Schweiz Konzepte wie ihr in die Zukunft gehen wollt und lasst die dann dort Vorort umsetzen.
    Soweit sinnvoll und passend, besucht ihr die Farm ein paar mal im Jahr und seht selbst nach dem Rechten. Mal mehr mal weniger aber im Schnitt 1-2 mal etwa.

    Da ihr aus Europa schlecht die täglichen Geschicke der Farm leiten könnt habt ihr Helfer Vorort. Z.b. Tim, den Farm Manager...

    Nur was genau machen die da eigentlich?
    So wie ich den einen oder anderen Beitrag zu Santa Rita verstanden habe, leitet doch euer Farm Partner die Farm, führt die Arbeiten aus die ihr euch vorstellt usw. Vorher hatte er 100%, jetzt hat er seine 50% auf denen er schaltet und waltet, und auf euren 50% macht er das was euch vorschwebt. Wozu braucht man dann noch einen Farm Manager? Einfach als kleine Kontrollinstanz, oder im Sinne von Jemand mit Know How schaut nach dem Rechten und Hilft mit Expertise dort, wo euer Farmpartner alleine nicht weiter kommt?

    Oder ist es eher so, dass der Tim hier sozusagen den Hut auf hat und das Sagen, Mitarbeiter einstellt zur Ernte und Verwaltung und Planung macht, koordiniert, und euer Finca Partner dann wie eine Art oberster Vorabeiter dann das eigentliche Doing auf der Farm anführt und leitet?

    Oder ist es wirklich getrennt, euer Farm Partner macht sein Ding, und ihr eures? Klar man ist Nachbar, hat gemeinsame Ziele und hilft sich wo es nur geht, aber am Ende des Tages ist jeder selbst für sich verantwortlich, weswegen euer Teil der Farm von Tim geleitet werden muss?

    Naja, als Kunde sind das vielleicht To Much Informations, aber ich finde das wirklich sehr interessant wie so die einzelnen Zahnräder ineinander greifen und am Ende es ein Großes-Ganzes ergibt.

    Die Farmarbeiter:
    Wie leben die eigentlich auf der Farm?
    Kommen die aus den umliegenden Dörfern, und laufen jeden Tag von Zuhause zur Farm und sind Abends wieder bei der Familie oder sind es auch Leute von weiter weg und schlafen dann in Unterkünften auf der Farm während der Saison, und wenn alles soweit rum ist, ziehen die dann weiter oder gehen wieder nach hause ähnlich unseren Erntehelfern hier in Europa?

    Wegen Corona:
    Nun, 14 Fälle bis jetzt... ...wer nicht Testet...klar... . Und auch das die politische Führung da macht ist krass... .

    Ich habe folgende Idee was ihr als Kaffeemacher tun könntet:

    Es ist absehbar, dass irgendwann ein Impfstoff verfügbar sein wird.
    Sorgt doch dafür, das eure Leute, und euer Personal, je nach dem wie Teuer, auch deren Familie dort geimpft wird.
    Klar, sobald verfügbar, wird es einen RUN auf den Impfstoff geben. Aber alle 5 Ansätze zur Entwicklung rund um die Erde momentan zielen ja darauf ab, dass Milliardenfach hoch zu skalieren und in unglaublichen massen zu Produzieren. Immerhin muss theoretisch fast 70% der Menschheit durchgeimpft werden. Bei der Masse kann ich mir auch nicht vorstellen, dass eine Dosis mehr als 1-2€ kosten wird. Die Verabreichung hier in Europa, sprich der Arzt der es Anordnet, die Schwester die dich Impft, die sind das Teure... ...der Impfstoff selbst wird relativ billig sein.

    Ihr selbst werdet an solch ein Medikament nicht ran kommen denke ich da es nur an Medizin Personal abgegeben wird. Und selbst wenn ihr es hättet, müsste es noch nach Nicaraguar gebracht werden... ...auch nicht ohne Hürden möglich.

    Kümmert euch doch schon jetzt darum rauszufeinden, wo lokal Vorort ein Arzt, Krankenhaus oder ähnliches ist, das berechtigt wäre, einen solchen Impfstoff zu bestellen und zu importieren sobald verfügbar. Und um einen lokalen Arzt der diesen abholen und verabreichen kann.

    Ich denke nicht dass so eine Regierung wie dort im großen Stiel die Mittel und auch den Willen hat, seine Bevölkerung großflächig durchzuimpfen... .
    So könntet ihr Vorort etwas tun wenn es soweit ist, und auch euren Farmbetrieb stabilisieren, wenn ihr wisst, dass eben keiner dort mehr Krank werden kann.

    Wie gesagt ich kenne mich mit Bestimmungen nicht aus. Vielleicht geht es ja auch, dass ein Arzt hier Vorort für euch den Impfstoff besorgt, ihr euch eine Aus und Einfuhr Genehmigung holt, und dann selbst im Flieger den Impfstoff rüber bringt. Keine Ahnung.

    Ich weiß auch nicht wie sinnvoll oder praktikabel alles wäre, es gibt da ja so viele Unwägbarkeiten im Moment... ...erstmal muss einer zur Verfügung stehen und das dauert noch.

    Es war eben nur meine Idee:
    Ich habe meine eigenen Leute, Liebe Freunde und Mitarbeiter dort drüben, am anderen Ende der Welt, in einem Land deren Regierung nicht handlungsfähig ist, und total sogar das ganze leugnet und Blödsinn macht.
    Was kann ich tun, wenn bei mir das Heilmittel verfügbar wird, dass es irgendwie meinen Leuten dort zu gute kommt, da diese in absehbarer Zeit eben keine Hilfe seitens der Regierung bekommen werden.

    Tja, ich wünsche euch und euren Leuten in Nicaraguar alles Gute und bleibt Gesund!
    Gruß
    Dennis

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